Ein Weihnachtsmärchen

Weihnachtsmärchen - in Freiheit lebenEin Mädchen mit roten Zöpfen und einem bunten Kleid lief den Weg entlang, der von seinem Elternhaus in den Wald führte.
Es lief über eine große Wiese und gelangte schließlich in den „Märchenwald“, wie ihre Eltern diesen Wald oft nannten.
Es sprang einmal rechts und einmal links vom Wege ab und fühlte das nasse Laub unter ihren Füßen.
Die Bäume schienen zu lächeln, wenn das Mädchen sie berührte.

Da das Mädchen heute mal etwas Neues erleben wollte und entdecken wollte, was es in diesem Wald alles gibt, lief es tiefer als sonst den Weg entlang.
Der Wald wurde dunkler und die Bäume wurden enger, doch das Mädchen lief ohne Angst zu haben, einfach weiter.
„Irgendetwas muss es doch geben, was ich noch entdecken kann?“, dachte es und zweigte an einer Gabelung links ab. „Ich folge diesem Weg und schaue, was da kommt“, sagte das Mädchen, sich selbst Mut zusprechend.

Plötzlich kam es an eine Lichtung, auf der ein großes Haus stand.
Noch nie hatte das Mädchen solch ein Haus gesehen. Es war kein richtiges Haus und doch schienen Zimmer in ihm zu sein. „Spannend“, sagte das Mädchen und ging zögernd weiter.
Wie aus dem Nichts stand plötzlich ein Kind vor ihm. Es lächelte und streckte die Hand nach dem Mädchen aus: „Hallo, wer bist DU denn“?, fragte das Mädchen das Kind. „Ich bin Lucy“, antwortet das Kind, „und wenn du magst, komm mit mir“.
„Wohin führst Du…“? fragte das Mädchen.
„Ich bringe dich zu dir selbst“, waren die Worte, die aus Lucys Mund kamen, noch bevor das Mädchen seine Frage zu Ende sagen konnte.

Sie gingen in das Haus und das Mädchen sah unendlich viele Zimmer. Manche Türen standen offen und sie konnte spielende Kinder sehen. Einige von ihnen lachten ihm zu und winkten. Es schienen sehr fröhliche Kinder zu sein, die Spaß an ihrem Spiel haben!
Das Mädchen folgte Lucy überall hin und bestaunte dieses große Haus. „Wow, ist das groß“, sagte das Mädchen. „Das ist gar nichts“, antwortete Lucy. „Warte mal, bis du alles gesehen hast“, lachte sie und ging ohne zu warten einfach weiter.

Das Mädchen schaute sich um und überlegte: „Was ist das hier“? „Wer wohnt hier?“ „Irgendwie ist das alles so vertraut, als ob es bei mir zu Hause wäre.“
Lucy fragte: „Willst du auch den Keller sehen? Der ist besonders spannend, finde ich!“
Das Mädchen hielt kurz inne und antwortete dann: „Ja, das möchte ich! Warum nicht?!“
Lucy lächelte verschmitzt und hob die Augenbrauen, als ob sie sagen würde: „Weil da manche Menschen richtig Schiss haben davor“… aber sie sagte es nicht und öffnete einfach die Kellertüre.

Das Mädchen ging hinter Lucy die Kellertreppe hinunter. Ihr Herz schlug ein wenig schneller, denn irgendwie wurde es ein wenig unheimlich hier. Lucy sagte: „Lass die Angst gehen, atme sie aus! Angst macht blind und hier ist es wichtig, dass du sehend bist“!
Als die Treppen zu Ende waren, standen Lucy und das Mädchen in einem großen Raum, der einfach nur grau war.
„Warum ist der Raum hier nur grau?“, fragte das Mädchen Lucy.
„Er ist nicht grau“, antwortete Lucy, „es sind nur keine Farben drin. Verstehst du?“.
„Keine Farben…“, sagte das Mädchen und überlegte, ob das stimmen könnte.
„Warum sind keine Farben hier unten?“, fragte sie anschließend Lucy. Diese erklärte ihm, dass Farben so eindeutig wären.
„Wenn die Wände hier rot wären, wäre es ein roter Keller.
Wenn die Wände hier blau wären, wäre es ein blauer Keller.
Es wäre nicht leicht möglich, sich einen roten Keller vorzustellen, wenn der Keller blau wäre.
Und plötzlich in einem gelben Keller zu stehen, wäre auch unmöglich, wenn eindeutige Farben an den Wänden wären. Verstehst du jetzt?“
„OK…..“ staunte das Mädchen. „Ihr habt also den Keller so grau gelassen, also … ich meine: so ohne Farben gelassen, damit er weder rot, noch blau, noch gelb ist? ….. hmmmm….. also….. was ist er dann, wenn er auch nicht grau ist?“

Lucy schaute ihr tief in die Augen: „Dieser Keller ist NICHTS. Und NICHTS ist ALLES. Verstehst du nicht?“
Das Mädchen überlegte…. „NICHTS ist ALLES und ALLES ist NICHTS!“ ….. „das habe ich aber noch nie gehört“, kam über ihre vor Staunen geöffneten Lippen.
„Klar, hast du das noch nie gehört“, lachte Lucy. „Das erzählt einem doch keiner! Das kannst du nur selbst entdecken, wenn du mutig bist, und vom bekannten Weg abzweigst“.
„Und wozu ist dieses Nichts?“, fragte das Mädchen. „Also, ich meine: wozu ist das ALLES hier?“
Lucy antwortete: „Weil du nur in einem Nichts ALLES finden kannst. Nur so, kannst du hier – schau mal hier rüber – nur so, kannst du hier zum Beispiel Berge mit Schnee sehen. Siehst du sie?“
Das Mädchen kniff ihre Augen zusammen und musste zugeben: „Nein, ich sehe hier nichts“.
„Du musst das grau zuerst annehmen. Nimm es an, akzeptiere voll und ganz, was du hier siehst. Erst dann, kann es sich verändern“.

„Schau dort hinüber“, forderte Lucy auf, „dort sind Kinder, die spielen. Siehst du sie“?
Das Mädchen schaute und schaute und plötzlich zeigten sich Konturen an der Wand: „Ja, ich sehe sie… wow, das ist ja irre…..!
Sag mal, kann ich alles sehen, was ich will, Lucy?“
„Versuch es einfach, dann weißt du es“, sagte Lucy und ließ sich rücklinks auf einen Sessel fallen, der vorhin noch nicht dort gestanden hat.

Das Mädchen schaute auf die Wände und entschied, eine Wand als Blumenwiese zu sehen, auf der Schmetterlinge tanzen und Bienen summen. „Wow, ist das herrlich. So eine schöne Wiese habe ich lange nicht gesehen“, seufzte es und schaute weiter: „Wow, wie wunderschön! Eine riesengroße Torte mit ganz viel Schokolade oben drauf. Da beiße ich jetzt mal rein“.
„Hey, Lucy, schau mal da drüben. DA sind kleine Hunde, die miteinander spielen. Oh, das ist ja wirklich einfach nur goldig. Mein Herz hüpft vor Freude, wenn ich diese Hunde sehe“.
„Toll machst du das“, sagte Lucy, „schau weiter und erschaffe dir hier eine Welt, so wie sie dir gefällt! Du kannst ALLES hier haben. ALLES, was du willst!

Das Mädchen probierte noch das ein oder andere aus und stellte irgendwann fest: „das ist echt total abgefahren, Lucy. Darf ich wiederkommen und mit dir hier weiterspielen?“
„Klar, gerne!“, sagte Lucy und nahm das Mädchen an der Hand. Sie gingen die Kellertreppe hoch und bevor sie durch die Tür ins Freie gingen, fragte Lucy das Mädchen:
„Traust du dich in Freiheit zu leben“? Lucy wurde ganz ernst als sie diese Fragte stellte.
Das Mädchen wurde still und überlegte: „Was ist das, in Freiheit leben?“
Lucy schien ihre Gedanken zu lesen und sagte: „Freiheit ist, dass du immer das tust, was du tun willst. Du folgst deinen eigenen Regeln und nicht denen anderer. Du machst Dinge auf deine Art und nicht, wie andere es tun. Und wenn du nichts tust, ist es auch ok! Egal, was andere dazu sagen.

Traust du dich das?“

Das Mädchen wartete ein wenig, bevor es antwortete. Dann sagte es zu Lucy: „Ja, Lucy, das will ich! Ich trau mich, wenn ich dem Ruf meiner Seele folge…“
Lucy grinste über das ganze Gesicht! „Ja, genau so geht das! Folge dem Ruf deiner Seele. Nur sie weiß, was richtig für dich ist. Niemand sonst“.

Das Mädchen wollte sich bedanken und Lucy umarmen, doch plötzlich hörte sie die Stimme ihrer Mutter: „Schatz, kommst du herein? Es gibt Abendessen. Hast du schon wieder den ganzen Nachmittag verträumt?“
„Nein, Mama. Ich habe Lu….“, das Mädchen schwieg und schaute ihre Mutter an: „Sag mal, Mama? Möchtest du in Freiheit leben?“
Die Mutter lachte und schüttelte den Kopf. „Was hast du nur für komische Gedanken, Maus. Niemand lebt in Freiheit. Das Leben ist hart und wir müssen alle viel tun, um so zu leben, wie wir es tun. Freiheit ist für Taugenichtse. Die sind frei, auf ihren Parkbänken oder unter der Brücke“.

Das Mädchen war geschockt. Sie wollte noch sagen: „Nein, Mama, du irrst dich. Freie Menschen leben in noch schöneren, noch größeren Häusern als wir“ – doch irgendwas in ihm sagte laut, dass ihre Mutter nicht offen war für ein solches Gespräch.
Das Mädchen lief hoch in ihr Zimmer und legte sich auf ihr Bett. Sie schloss die Augen und flüsterte: „Danke Lucy. Ich komme wieder…“

9 Kommentare zu „Ein Weihnachtsmärchen“

  1. Sehr schöne Geschichte…danke Eva ❤und passt gerade wieder vollkommen …hab da eine Situation und weiß jetzt das ich alles richtig gemacht habe und brauch nicht zu zweifeln…danke…schöne Weihnachten ?

  2. Patricia Gerlach-Schultz

    Liebe Eva,

    Danke für die schöne Geschichte. Eine frohe Botschaft für uns alle!! Ich wünsche Dir und allen, die das lesen fröhliche und friedvolle Weihnachten und eine spannendes Jahr 2018!

    Weihnachtliche Grüße

    Patricia

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